Mutter Maria (Skobcova) oder einfach Mat’ Marija, wurde als Elizaveta Jur’evna Pilenko am 8. Dez. 1891 in Riga geboren. Sie starb am 31. März 1945 nach zweijähriger Internierung im deutschen Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück noch in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges als eines der letzten Opfer der Gaskammern. Sie hatte sich der nationalsozialistischen Ideologie im tätigen Widerstand entgegengestellt. Ihr Sterbetag ist der Karsamstag des Jahres 1945.
Als Verheiratete hatte Elizaveta, von ihren Freunden Lisa genannt, zwei Familiennamen, — Kuz’mina-Karavaeva nach dem ersten Ehemann, später Skobcova — daher der häufig gebrauchte Doppelname Kuz’mina-Karavaeva/Skobcova.
Im Jahr 2004 wurde Mutter Maria vom Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel als Märtyrerin heilig gesprochen — «Svjataja Prepodobnomučenica Marija», und zwar zugleich mit dem Priester Dmitrij Klepinin und ihrem eigenen Sohn Jurij Skobcov. Alle Drei waren im Februar 1943 bei der sozial-caritativen Einrichtung in der Pariser Rue de Lourmel Nr. 77, wo Vater Dmitrij der Russisch-Orthodoxen Gemeinde vorstand, von der Gestapo verhaftet worden. Mit ihnen zusammen wurde auch noch ein Freund kanonisiert, der russisch-jüdische Intellektuelle Ilja Fondaminskij, der ebenfalls in einem deutschen KZ sein Leben lassen musste. Alle Vier sind gemeinsam auf Ikonen abgebildet.
In dem von ihr gegründeten Haus in der Rue de Lourmel Nr. 77 leistete Mutter Maria unermüdlichen Totaleinsatz für viele verarmte und sowohl in materieller wie in geistiger und geistlicher Hinsicht bedürftige russische Emigranten. Die Zusammenarbeit der dort tätigen «Russisch-Orthodoxen Aktion» (Pravoslavnoe Delo) mit der Französischen Résistance während der Nazi-Besatzung und das Engagement für verfolgte Juden führten schließlich zur Verhaftung der Aktivisten. Vater Dmitrij Klepinin und Mat‘ Marija zählen in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zu den «Gerechten unter den Völkern», und für die Rettung sowjetischer Kriegsgefangener während der deutschen Okkupation Frankreichs wurde Mutter Maria posthum mit einem Orden der Sowjetunion ausgezeichnet.
Ihr bewegtes Leben ist bestens erforscht und findet großes Interesse: die intellektuelle Wissbegier und das religiöse Suchen der jungen Lisa, später ihr aktiver politischer Einsatz in der Partei der Sozialrevolutionäre (S. R.) noch in Russland zur Zeit von Revolution und Bürgerkrieg, schließlich als Bürgermeisterin ihrer Heimatstadt Anapa am Schwarzen Meer, — zwei Ehen, zwei Scheidungen, drei Kinder, die Flucht aus Russland 1920, — ihre Tätigkeit in der RSChD, der Russischen Christlichen Studentenbewegung in Frankreich, — ihre Nonnenweihe 1932 in Paris durch Bischof Evlogij, und ihr unermüdliches soziales Wirken sind Stoff vieler Untersuchungen und Publikationen.
Elizaveta war als Künstlerin tätig, — sie zeichnete, malte und stickte schon von Jugend an. Ihre Werke sind vorgestellt im Buch von Frau Xenija Krivošeina, «La Beauté salvatrice» (CERF, Paris, 2012; russisch: Krasota Spasajuščaja. Isskustvo—SPB. 2004), das bald auch in deutscher Sprache vorliegen wird.
Schon die junge, philosophisch-geistig interessierte Lisa liebte die Literatur und begann früh, eigene Gedichte zu schreiben. Ihr erster Gedichtband erschien 1916, und es gibt auch frühe Romane philosophischen bzw. zeitgeschichtlich-biographischen Inhalts. Später, in der Pariser Emigration, veröffentlichte sie zahlreiche Artikel und religions-philosophische Essays in Emigrantenzeitschriften, sie schrieb Heiligenviten, Mysterienspiele, Erinnerungen, — und immer wieder Gedichte. Das Schreiben der Gedichte diente ihr zum Verarbeiten ihrer Gefühle, besonders auch im schweren Leid, sowie als Ausdruck ihres religiösen Empfindens, das von Kreuzesmystik, tiefem, mütterlichem Mitgefühl, ihrer Ganzhingabe an die Armen und Leidenden und von der positiven Kraft unerschütterlichen Gottvertrauens geprägt ist. Sie selbst mußte tiefe Leidensabgründe erleben — beide Töchter starben früh, und ihren Sohn, der Priester werden wollte, sah sie ein letztes Mal, als sie beide bereits verhaftet waren. Auch noch im Konzentrationslager schrieb sie Gedichte, und sie stärkte und tröstete ihre Mitgefangenen. Durch ihre gläubige Heilsgewissheit war sie eine starke Stütze für viele Verzweifelte, — bis sie selbst, durch Entbehrungen und Krankheit völlig ausgezehrt, keine Kraft mehr hatte.
Das literarische Werk von Elizaveta Kuz’mina-Karavaeva/Skobcova ist Teil jenes großen Stroms der russischen Kultur, der durch die Tragödien von Revolution, Bürgerkrieg und bolschewistischer Repression gewaltsam abgerissen zu werden drohte, — der aber durch die in der Emigration wirkenden Kulturschaffenden und Literaten dennoch lebendig blieb. Nach dem Ende der ideologischen Restriktionen durch die kommunistische Diktatur begann der Reichtum der Emigrantenliteratur nach Russland zurückzukehren, — in den wenigsten Fällen durch eine physische Rückkehr seiner Träger, aber durch Rezeption und Integration ihrer Werke und das Bewusstwerden und Aufarbeiten der persönlichen Lebensgeschichten.
Mutter Maria Skobcova — Elizaveta Kuz’mina-Karavaeva gehört zwei Epochen der russischen Literatur an. So war sie Zeitgenossin und Teilhabende am so genannten «Silbernen Zeitalter» der russischen Literatur, — Zeit der Symbolisten, der Dekadenz, des Akmeismus. Es ist dies die Zeit Alexander Bloks, Anna Achmatovas, S. Gorodeckijs, N. S. Gumil’evs, Osip Mandelštams u. v. a. In diese vorrevolutionäre Epoche der 1910-er Jahre fällt die Publikation ihrer frühen Werke, und es ist dies auch die Zeit von Lisas geistigem Suchen, bis sie ihre Antwort im christlichen Glauben fand. In der Pariser Emigration realisierte sich dann ihr Leben in leidenschaftlicher Christusnachfolge als radikale Hingabe ihrer Selbst im Dienst an allen Hilfsbedürftigen. Ihr literarisches Schaffen in diesem zweiten Abschnitt ist unverzichtbarer Beitrag einer christlichen Publizistin und Poetin innerhalb der russischen Emigrantenliteratur.
In meiner Diplomarbeit wollte ich dem Leben von Mat‘ Marija nachspüren, um zu sehen, wie ihre Gottsuche und Christusnachfolge sich entwickelten und in ihrem literarischen Werk Ausdruck finden.
Gmunden, im Juli 2013
Mag. phil. Maria Anna Broda